Bedürfnisfreie Beziehung – Liebe

Im Yoga nimmt die Liebe zur Welt und den Menschen einen zentralen Stellenwert ein. Was sagt die existentielle Psychologie dazu?
  • Beziehung bedeutet, sich auf den anderen Menschen in selbstloser Weise zu beziehen: Sich von Befangenheit und Ich-Bezogenheit zu befreien, ohne den übergreifenden Gedanken: "Was denkt er von mir" oder "was ist für mich drin." Man ist nicht auf Lob, Bewunderung, sexuelle Erleichterung oder Macht aus. Man bezieht sich einfach auf  die andere Person.
  • Beziehung bedeutet, den anderen so vollständig wie möglich zu kennen und zu erfahren und sich selbst so zu zeigen, wie man ist. In der Selbstlosigkeit entsteht die Freiheit, den anderen in all seinen Teilen zu erleben und ihn nicht für eigene Zwecke zu gebrauchen. Man erkennt den anderen als empfindsames Wesen, das sich auch eine Welt um sich geschaffen hat:
  • Man interessiert sich für das Sein und das Wachstum des anderen. Mit dem eigenen Erkennen und Zuhören bemüht man sich, dem anderen dabei zu helfen, im Augenblick der Begegnung ganz lebendig zu werden.
  • Reife Liebe ist aktiv. Sie ist Lieben, nicht Geliebtwerden. Man gibt dem anderen in liebevoller Weise; man fällt nicht auf den anderen herein.
  • Sich für den anderen interessieren und ihn zu lieben ist eine Art in der Welt zu sein; es ist keine ausschließliche, flüchtige, magische Verbindung mit einer besonderen Person.
  • Eine reife Beziehung lebt aus dem eigenen Reichtum und nicht aus der eigenen Armut – aus dem eigenen Wachstum heraus; nicht aus der Not. Man liebt den anderen nicht, weil man ihn braucht, um zu existieren, ganz zu sein oder der überwältigenden Einsamkeit zu entfliehen. In der Vergangenheit erfahrene Liebe ist daher die Quelle der Kraft; gegenwärtige Liebe ist das Ergebnis dieser Kraft.
  • Reife Liebe ist wechselseitig. In dem Maße, in dem man sich dem anderen zuwendet, wird man selbst verändert. In dem Maße, in dem man den anderen zum Leben bringt, wird man selbst lebendiger.
  • Reifes Interesse am Anderen hat seine Belohnungen. Man wird verändert, bereichert, erfüllt, die existentielle Einsamkeit wird gelindert. Durch unser Sorgen wird für uns gesorgt. Aber die Belohnungen fließen aus dem Sorgen selbst; sie werden nicht dadurch ausgelöst: Belohnungen erfolgen, aber man kann sie nicht verfolgen.
(Quelle: Irvin D. Yalom, Existentielle Psychotherapie, S. 441 ff)
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